„We loved Cezanne and Baudeleire as we passed around an old rubber shoe filled with rice wine. We respected Kierkegaard, Nietzsche and Sartre as our mentors. We would shout at the new moon hanging on the hills that ‚Zarathustra is dead‘ …“
Mit diesem Zitat des Künstlers beginnt der Rundgang durch die Ausstellung von Myeung-Ro Youn im National Museum of Contemporary Art in Seoul, Korea. Die Ausstellung spiegelt das Lebenswerk des heute 77-jährigen Malers und liest sich für einen Liebhaber der abstrakten Kunst wie ein visueller Gedichtband bildnerischer Elemente in asiatischer Ästhetik.
Dem Zufall eine Chance geben…
Steuerung und Zufall, Form und Auflösung sind die beiden auffälligen Kompositionskontraste die sich durch die Bilder ziehen.
Die chaotische Linienstruktur wie sie Rissen und Oberflächensprüngen eigen ist bändigt Myeung-Ro in den Crack-Bildern durch eine strenge und einfache Formgebung. Es wirkt wie ein Zurücknehmen des eigenen formenden Gestaltungwillen, zugunsten eines Dialogs mit dem Material als eigenständiges Gegenüber.
Der Zufall wird sensibel ausbalanciert:
die Variationen in der Wiederholung sind fein und leise komponiert in Helligkeitswerten, Verdichtungen, Größe und Kontrast.
In diese Serie der „Sprung-Bilder“ gehört auch das Werk Crack 77-710 von 1977, das neben den aktuellen Arbeiten für mich als Europäer zu den faszinierendsten der Ausstellung gehört.
Der leicht sichtbare Rahmen im Bild besteht aus einer dickeren Farbschicht, die Sprünge aufweist. Teile davon sind sichtbar, andere Abschnitte übermalt. Eine leichte Untermalung bringt feine Nuancen an Farbigkeit in die weiß dominierte Bildgestaltung. An den Rändern ist die originale, unbehandelte Leinwand frei gelassen. (Leider kann das Foto nicht die Details wiedergeben.)
Der Dialog des Gestalters mit der Ursprünglichkeit des Material, die durch die Reduzierung erreichte Intensität (ich mag hier nicht von Leere sprechen), die rhythmische Wiederholung von Auf- und Zudecken geben dem Bild eine immense Sogwirkung und beinahe atemberaubende Kraft. Das buddhistische Bemühen um Fokusierung, Loslösung und Stille des Geistes scheint sich hier im Bild zu visualisieren.
„My work is at base random, a breath into a more private world. Rather than chaos formed without thought, my work represents the traces of the spirit that after plenty of thought.“ Myeung-Ro Youn
Myeung-Ro ist ein Künstler, der ständig auf dem Weg ist.
Sind in den frühen Arbeiten die Verbindungen zu Informel deutlich spürbar lösen sich die Bilder alsbald und beschreiten einen künstlerisch eigenen Weg in Auseinandersetzung mit den Bildmitteln als abstrakte visuelle Sprache. Auf diesem Weg gibt es Phasen des Auslotens und Vertiefens, aber kein Stillstehen oder Ausruhen bei dem Erreichten. Man hat den Eindruck eines Bootes, das sich unaufhörlich weiterbewegt – den gleichen Fluss entlang, aber immer breiter, tiefer, weiter werdend.
Dabei sind die letzten Arbeiten für den flüchtigen Blick eher unspektakulär. Auf den zweiten Blick allerdings entfalten sie eine Tiefe in jedem Detail das einen unweigerlich in den Bann zieht. Die Bilder atmen einen eigenen Rhythmus. Es gibt nichts was überflüssig ist, es ist wie eine Essenz aus den vorangegangen Bildern.
Hier ist höchste Authentizität, eine Freiheit deren Spiel und Leichtigkeit nur aus der Meisterschaft einer langjährigen Künstlerarbeit -die Hand, Geist und Seele gleichermaßen einschließt- realisierbar wird.
Würde mich jemand fragen wie man Zen visualisieren könnte, würde ich in die Richtung dieser Bilder von Myeung-Ro deuten. Sie wirken auf ihre Weise wie Meditationen zu den immerwährenden Fragen der Existenz im Verbund mit einem Leben der Hingabe an das malerische Medium als Antwort.
Betrachtet man die Bilder mit einem Abstand dann entstehen Assoziationen zu Bergformationen, Wasserläufen, Landschaft als solche. Bilder von asiatischen Bergdarstellungen kommen ins Bewußtsein ohne dargestellt zu sein.
Geht man an die Bilder nahe heran löst sich die Form in beinahe formlose Zufälligkeit. Es ist wie ein Finden des Künstlers, eine andere Art von Zu-Fall, die durch die jahrezehntelange Erfahrung in eine Form gebündelt wird, die Gestalt annimmt ohne Objekt zu sein.
Die Arbeit mit irisierenden Farben Gold und Silber reflektiert das Licht auf sensitive Weise. Es entsteht eine Unwirklichkeit die wirklicher ist als die Realität weil sie auf eine tieferliegende Dimension von Wirklichkeit verweist. Landschaft wird zum Anlass für das Letzte, vielleicht Unsagbare.
Die existentiellen Fragen, die jeden betreffen schwingen assoziativ mit. Hier fallen kulturelle Schranken und Unterschiede in sich zusammen.
Was bleibt ist der Atmen künstlerischer Formgebung als Moment „geronnenen Lebens“.
Die Bilder sind dem Katalog zur Ausstellung entnommen.
Myeung-Ro Youn, Traces of Spirit 윤 명 로, 정 신 의 흔 즈ㅓ
26.3. – 23.6.2013
National Museum of Contemporary Art, Seoul/Korea